BVerwG: Umweltvereinigung kann gegen Zielabweichungsbescheid klagen

Mit Urteil vom 28.09.2023 (Az. 4 C 6.21) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass eine anerkannte Umweltvereinigung gerichtlich überprüfen lassen kann, ob eine Abweichung von Zielen des Regionalplans gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt. Dies ist die erste höchstrichterliche Entscheidung zur Klagebefugnis von Umweltvereinigungen gegen Zielabweichungsbescheide.

Abweichend von den Vorinstanzen bejaht das Bundesverwaltungsgericht nunmehr die Klagebefugnis. Die Zielabweichungsentscheidung ist ein statthafter Klagegenstand nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG, wenn anstelle der Zielabweichungsentscheidung eine Änderung des Regionalplans hätte erfolgen müssen.

Durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG stellt das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, dass sich die Umweltvereinigung in der Sache gegen ein Unterlassen der Behörde wendet. Denn unter bestimmten Voraussetzungen hätte die zuständige Behörde den Regionalplan ändern müssen und die Beklagte hätte nicht durch den Erlass eines Zielabweichungsbescheids entscheiden dürfen. Gegen das Unterlassen einer Regionalplanänderung kann eine anerkannte Umweltvereinigung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG klagen.

In diesem Zusammenhang stellt das Bundesverwaltungsgericht heraus, dass eine Änderung des Regionalplans insbesondere dann erfolgen muss, wenn die Zielabweichung Grundzüge der Planung berührt. In einem solchen Fall ist eine Zielabweichungsentscheidung nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ROG unzulässig. Die Grundzüge der Planung sind laut Bundesverwaltungsgericht u.a. dann berührt, wenn erhebliche Umweltauswirkungen auf Raumordnungsebene nicht ausgeschlossen werden können.

Dieser letzte Punkt könnte auch Bedeutung über das Raumordnungsrecht hinaus haben. Denn auch im Bauplanungsrecht setzt eine Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB voraus, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in früheren Entscheidungen herausgestellt, dass sich § 6 Abs. 2 ROG an § 31 Abs. 2 BauGB orientiert, und deshalb die hierzu ergangene Rechtsprechung bei der Auslegung des § 6 ROG herangezogen (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 4 C 8/10 –, BVerwGE 138, 301-316, Rn. 26; BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 7 B 15/17 –, Rn. 13, juris). Dies dürfte auch umgekehrt richtig sein.

Bei Befreiungsentscheidungen nach Bauplanungsrecht sollten Baugenehmigungsbehörden und Gemeinden bei der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens daher berücksichtigen, ob erhebliche Umweltauswirkungen nicht ausgeschlossen werden können.

In der Sache ist der Streit über die Zielabweichungsentscheidung aus dem Jahr 2017 übrigens noch nicht entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

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