Weitere Beschleunigung für den Ausbau erneuerbarer Energien: EU-Notfall-VO als Grundlage für weitere erhebliche Anpassungen im Zulassungsrecht

Der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien wird auf europäischer Ebene forciert: Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die EU am 22.12.2022 die Verordnung (EU) 2022/2577 zur Festlegung eines Rahmens für den beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien (EU-Notfall-VO erlassen (hier abrufbar). Die Verordnung enthält gezielte Sofortmaßnahmen zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für bestimmte Technologien und Projektarten im Bereich der erneuerbaren Energien und zum Repowering von EE-Anlagen, um der aktuellen Energiekrise kurzfristig bis zum in Kraft treten der geplanten EE-Richtlinie entgegenzuwirken. Inhaltlich greift die unmittelbar geltende Verordnung zum einen Neuerungen der sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Vorschlag, hier abrufbar) auf und dient damit als Brücke bis zur Umsetzung der novellierten Vorschriften in nationales Recht. Zum anderen enthält sie neue Elemente, die die Versorgungssicherheit in Europa erhöhen sollen.

Die Regelungen der EU-Notfall-VO im Einzelnen:

1. Anwendungsbereich

Die Vorschriften gelten nach Art. 1 für alle Genehmigungsverfahren, deren Beginn innerhalb der Geltungsdauer der Verordnung bis zum 30.06.2024 liegt. Nicht notwendig ist, dass die Verfahren in dieser Zeit abgeschlossen werden. Die Mitgliedstaaten können die Verordnung auf laufende Verfahren anwenden, bei denen vor dem 30.12.2022 noch keine endgültige Entscheidung ergangen ist, sofern das Verfahren zur Genehmigungserteilung damit verkürzt wird und bereits bestehende Rechte Dritter gewahrt werden.

2. Vereinfachte Genehmigungsverfahren

Nach der Verordnung (Art. 6) können Mitgliedstaaten für ausgewiesene EE- und Netzgebiete, die bereits eine strategische Umweltprüfung (SUP) durchlaufen haben, festlegen, dass im Genehmi­gungsverfahren die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und der artenschutz­rechtlichen Prüfung entfällt. Im Gegenzug müssen jedoch geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen ergriffen oder – sofern dies nicht möglich ist – ein finanzieller Ausgleich für Artenschutzprogramme gezahlt werden.

3. Sonstige Regelungen

Die Verordnung sieht ferner Regelungen zum überwiegenden öffentlichen Interesse (Art. 3) und zum Repowering von EE-Anlagen (Art. 5) sowie Vorschriften zur Beschleunigung des Verfahrens für Photovoltaik-Anlagen (Art. 4) und für Wärmepumpen (Art. 7) vor. Danach darf etwa ein Genehmigungsverfahren für Wärmepumpen unter 50 MW elektrische Leistung nur ein Monat und für Erdwärmepumpen nur drei Monate dauern.

Die EU-Notfall-VO eröffnet dem deutschen Gesetzgeber weitere Beschleunigungsmöglichkeiten. Am 31.01.2023 hat das Kabinett deshalb eine Formulierungshilfe (hier abrufbar) beschlossen, mit der die Neuerungen der EU-Notfall-VO in das parlamentarische Verfahren zur Änderung des ROG eingebracht werden sollen. Die Änderungsvorschläge betreffen vor allem das Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG), das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) sowie das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).

Nach dem WindBG-E sind in einem Genehmigungsverfahren für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen in einem Windenergiegebiet abweichend vom UVPG keine Umweltverträglichkeitsprüfung und abweichend von § 44 Abs. 1 BNatSchG keine artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen, wenn bei Ausweisung des Windenergiegebietes eine Umweltprüfung nach § 8 ROG oder § 2 Abs. 4 BauGB durchgeführt wurde. In diesem Falle hat die zuständige Behörde geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen anzuordnen. Sind diese nicht verfügbar, hat der Betreiber eine Geldzahlung zu leisten. Das Entfallen der Prüfungspflicht wird jedoch an den bisher nicht vorhandenen Vorbehalt geknüpft, dass bereits im Voraus eine – nach deutschem Recht sowohl für Raumordnungspläne als auch für Bauleitpläne verbindliche – strategische Umweltprüfung in Bezug auf das Windenergiegebiet stattgefunden hat.

Die von der EU-Notfall-VO offen gelassene Frage, wie mit Verfahren umzugehen ist, in denen die Antragstellung innerhalb der Geltungsdauer der Verordnung, die Genehmigungserteilung aber erst nach Ablauf der Geltungsdauer erfolgt, beantwortet § 6 Abs. 2 S. 4 WindBG-E. Danach sollen bestimmte Erleichterungen für das gesamte Genehmigungsverfahren angewendet werden, ungeachtet dessen, ob es bis zum Ablauf des 30.06.2024 abgeschlossen wird. Die Privilegierung des § 6 WindBG-E wirkt folglich bis zum Abschluss aller innerhalb der Geltungsdauer der EU-Notfall-Verordnung begonnener Verfahren fort.

Vergleichbare Änderungen finden sich für Vorhaben zum Ausbau des Hoch- und Höchstspannungsnetzes in § 43m EnWG-E sowie für die Zulassung von Windenergieanlagen auf See in § 72a WindSeeG-E.

Für Fragen zur EU-Notfall-VO sowie zu den Neuerungen des geplanten ROGÄndG wenden Sie sich gerne an unser Team „Umweltrecht“. Ihre Ansprechpartner: Dr. Lars Dietrich, Dr. Karsten Keller, Dr. Peter Durinke

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