Die Niedersächsische Landesregierung beabsichtigt, das Landes-Raumordnungsprogramm (LROP) fortzuschreiben und hat hierfür einen Entwurf zur Änderung der Verordnung über das Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen in der Fassung vom 26. September 2017 erarbeitet. Das Änderungsverfahren hat im November 2019 mit der Bekanntgabe der allgemeinen Planungsabsichten begonnen. Anfang 2021 bestand im Rahmen eines ersten Beteiligungsverfahrens die Möglichkeit, zum Entwurf der Änderungsverordnung Stellung zu nehmen. Auf Grundlage der Rückmeldungen wurde nunmehr ein überarbeiteter Entwurf für das zweite Beteiligungsverfahren freigegeben.
Neben einer räumlichen Ausweitung der bereits vorhandenen Vorranggebiete Natura 2000 und Biotopverbund sieht der Entwurf vor, dass das neu geschaffene Vorranggebiet Wald in das LROP aufgenommen wird. Im Fokus der Änderungen steht hierbei ein Paradigmenwechsel zum Regelungskomplex „Wind im Wald“: War die Inanspruchnahme von Wald für die Windenergie nach dem LROP 2017 noch grundsätzlich unerwünscht, ist sie nach der dem Änderungsentwurf nun grundsätzlich erwünscht. Der besonderen Bedeutung des Waldes wird fortan Rechnung getragen, indem bestimmte Waldgebiete als Vorranggebiete Wald, Natura 2000 und Biotopverbund festgelegt werden, in denen die Nutzung der Windenergie ausgeschlossen ist.
Die geplanten Änderungen im Einzelnen:
Abschnitt 3.2.1. Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei
Im Abschnitt 3.2.1. Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei wird Ziff. 04 als verbindliches Ziel der Raumordnung i.S.v. §§ 13 Abs. 1 Nr. 2, 4 Abs. 1 S. 1, 2 ROG neu eingefügt.
Nach Ziff. 04 S. 1 der Änderungs-VO sind die in Anlage 2 festgelegten Vorranggebiete Wald, Natura 2000 und Biotopverbund zu erhalten und zu entwickeln. Als Vorranggebiet Wald werden nur historisch alte Waldstandorte ausgewiesen, die nicht bereits als Vorranggebiet Natura 2000 oder Vorranggebiet Biotopverbund im LROP festgelegt sind. Durch die Festlegung eines Vorranggebietes Wald erfolgt mithin eine Schutzerweiterung für Waldbestände, die über den räumlichen Schutzbereich der Natura 2000- und Biotopverbund-Gebiete hinausgeht. Die Basis für die Festlegung der Vorranggebiete Wald im LROP bildet die Waldfunktionenkartierung für Niedersachsen, die durch das Niedersächsische Forstplanungsamt erarbeitet worden ist. Das Vorranggebiet Wald adressiert in erster Linie die öffentliche Hand, nicht aber Privatpersonen. Es bindet insbesondere die Kommunen und Fachplanungsträger bei ihren raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen sowie bei der Zulassung ebenjener Planungen und Maßnahmen, statuiert aber kein Bewirtschaftungsverbot für Privatpersonen.
Nach Ziff. 04 S. 2 der Änderungs-VO sind die in Anlage 2 festgelegten Vorranggebiete Wald ferner in die RROP zu übernehmen und räumlich näher festzulegen. Dies folgt aus dem in § 13 Abs. 2 S. 1 ROG verankerten Entwicklungsgebot, wonach die RROP aus dem LROP zu entwickeln sind.
Nach Ziff. 04 S. 3 der Änderungs-VO können die Vorranggebiete Wald im Hinblick auf § 3a Abs. 2 NABEG ausnahmsweise für Hochspannungsleitungen in Anspruch genommen werden, wenn keine andere, geeignete und rechtlich zulässige Trassenalternative gefunden werden kann. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Ausnahme nach § 6 Abs. 1 ROG, die vom Verordnungsgeber eingefügt wurde, weil die Vorranggebiete Wald andernfalls eine unüberwindbare Barriere für Netzausbauprojekte darstellen würden. Das heißt im Umkehrschluss, dass das Vorranggebiet Wald für alle anderen raumbedeutsamen Vorhaben eine solche unüberwindbare Barriere bildet.
Abschnitt 4.2.1. Erneuerbare Energieerzeugung
Der ursprüngliche Abschnitt 4.2. Energie wird komplett neu gefasst und in die Abschnitte 4.2.1. Erneuerbare Energieerzeugung und 4.2.2. Energieinfrastruktur untergliedert.
Neben der strukturellen Neuregelung hat sich auch eine inhaltliche Änderung vollzogen, die für die zukünftige Planung von Windenergieanlagen von Bedeutung ist. Sollte Wald nach Ziff. 02 S. 8 LROP 2017 wegen seiner vielfältigen Funktionen, insbesondere wegen seiner klimaökologischen Bedeutung, grundsätzlich nicht für die Nutzung von Windenergie in Anspruch genommen werden, sieht Ziff. 02 S. 6 der Änderungs-VO nun vor, dass Wald grundsätzlich für die Nutzung von Windenergie in Anspruch genommen werden kann, sofern der Vorhabenstandort nicht in einem Vorranggebiet Wald, Natura 2000 oder Biotopverbund liegt.
Paradigmenwechsel zeichnet sich ab
In den Vorranggebieten ist das Errichten von Windenergieanlagen aufgrund des entgegenstehenden Zieles der Raumordnung aus Ziff. 04 S. 1 in Abschnitt 3.2.1. nicht zulässig. An Waldstandorten, die keine Vorranggebiete sind, ist das Errichten von Windenergieanlagen im Umkehrschluss aber grundsätzlich möglich. Es handelt sich bei dieser Bestimmung also um eine Öffnungsklausel, die es ermöglicht, den Wald – zwar unter bestimmten Einschränkungen, aber dennoch grundsätzlich – für die Nutzung von Windenergie in Anspruch zu nehmen. Zu beachten ist, dass es sich bei der Ziff. 02 S. 6 der Änderungs-VO lediglich um einen Grundsatz der Raumordnung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG handelt, der gem. § 4 Abs. 1 S. 1, 2 ROG nicht strikt verbindlich, aber im Rahmen der Abwägung und bei Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist. Das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach die Inanspruchnahme des Waldes für die Windenergie die Ausnahme und die Nichtzulassung solcher Vorhaben die Regel war, wird damit umgekehrt.
Vor dem Hintergrund des zusätzlich zu erwartenden „Sommerpakets“ zu planungs- und genehmigungsrechtlichen Anpassungen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, ergeben sich vielfältige Fragestellungen für die bestehenden, aber auch für die in Aufstellung befindlichen Regionalen Raumordnungsprogramme der Landkreise in Niedersachsen.
Für Fragen zum aktuellen Änderungsentwurf zum LROP NDS wenden Sie sich gerne an uns.
Ihre Ansprechpartner:
Rechtsanwalt Dr. Lars Dietrich, LL.M.
Rechtsanwalt Dr. Peter Durinke