Neue Rechtslage in NRW bei Erschließungsbeiträgen nach Grundsatzurteil des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03.11.2021 – 1 BvL 1/19 – in einer vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Normenkontrolle entschieden, dass eine Gemeinde 25 Jahren nach Eintritt der beitragsrechtlichen Vorteilslage durch Fertigstellung einer Straße keine Erschließungsbeiträge mehr erheben darf. Stattdessen muss der Landesgesetzgeber aus Gründen der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit eine gesetzliche Regelung zur zeitlichen Grenze der Erhebungsmöglichkeit nach Eintritt der Vorteilslage treffen. Hieran fehlte es im entschiedenen Fall in Rheinland-Pfalz. Während andere Bundesländer wie Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg eine solche Regelung bereits getroffen haben, fehlt es in Nordrhein-Westfalen und etwa Berlin bislang ebenso wie in Rheinland-Pfalz an einer zeitlichen Höchstgrenze.

Nach § 1 Abs. 3 KAG NRW finden die Regelungen des KAG insbesondere zur Festsetzungsfrist auch auf Erschließungsbeiträge Anwendung. Damit gilt derzeit noch, dass die Festsetzungsfrist 4 Jahre nach dem Jahr endet, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist Voraussetzung im Erschließungsbeitragsrecht neben der Erfüllung der Herstellungsmerkmale der Straße jedoch z.B. auch das Vorliegen eines wirksamen Bebauungsplanes sowie die Widmung der Straße. Dadurch wird der Beitrag in vielen Fällen erst nach Jahrzehnten erhoben.

Hierzu hatte das OVG NRW bereits im Juni dieses Jahres entschieden, dass nach Eintritt der Vorteilslage für den Anlieger ein Zuwarten von mehr als 30 Jahren bis zur Beitragserhebung in entsprechender Anwendung des § 53 VwVfG gegen Treu und Glauben verstoße (OVG NRW, Urteil vom 08.06.2021 – 15 A 299/20 -).
Mit der jetzt vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird es dabei aber nicht sein Bewenden haben können. Sondern der Landesgesetzgeber wird auch in NRW und z.B. Berlin entscheiden müssen, welche zeitliche Höchstgrenze er für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Eintritt der Vorteilslage noch für zulässig hält. In Bundesländern, in denen es solche Regelungen bereits gibt, sind Verjährungsfristen von 15- 20 Jahren vorgesehen.
Es bleibt die Frage, nach welchen Kriterien sich richten soll, ob die Vorteilslage für die Anlieger eingetreten ist. Hierzu ist eine gesetzgeberische Konkretisierung nicht zu erwarten und wegen der Vielgestaltigkeit der Einzelfälle auch kaum möglich.

Das OVG NRW gibt hierzu in der oben angeführten Entscheidung Folgendes vor: „Der Eintritt der Vorteilslage ist für das Erschließungsbeitragsrecht dann anzunehmen, wenn eine dem Grundsatz nach beitragsfähige Erschließungsanlage – für den Beitragspflichtigen erkennbar – den an sie im jeweiligen Fall zu stellenden technischen Anforderungen entspricht. Es ist unter dem Blickwinkel der Erkennbarkeit ausreichend, wenn die unmittelbar in der Erschließungsbeitragssatzung definierten Herstellungsmerkmale erfüllt sind, eine zweckentsprechende Anlagennutzung möglich ist, die Anlage aus Sicht eines objektiven Betrachters endgültig fertiggestellt erscheint und ein solcher nur durch das Studium des unveröffentlichten Bauprogramms von der mangelnden Umsetzung Kenntnis erlangen könnte.“

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wirkt unmittelbar nur für Rheinland-Pfalz. Das gilt auch für die Anordnung des Gerichts, alle laufenden behördlichen und gerichtlichen Verfahren seien auszusetzen, bis der Gesetzgeber nachgebessert habe. Dennoch ist auch für Kommunen in NRW dringend empfehlenswert, bereits jetzt bei beschlossenen, aber noch nicht bestandskräftig abgerechneten Ausbaumaßnahmen zu prüfen, ob eine Abrechnung nach Erschließungsbeitragsrecht aus den vorgenannten Gründen unzulässig ist. Das Ergebnis sollte dokumentiert werden und dann ggf. auf Abrechnung nach KAG umgestellt werden.

Ansprechpartnerin: RAin Susanne Tyczewski

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