BAG: Frist zur außerordentlichen Kündigung beginnt nicht durch Unkenntnis infolge eines fahrlässigen Organisationsverschuldens
Mit seinem Urteil vom 05.05.2022 (Az.: 2 AZR 483/21) hat das BAG entgegen dem Urteil des LAG Baden-Württemberg (LAG vom 03.11.2021 – Az. 10 Sa 7/21) klargestellt, dass die zweiwöchige Frist für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu laufen beginnt, wenn die kündigungsberechtigte Person infolge eines fahrlässigen Organisationsverschuldens Unkenntnis von den zur Kündigung berechtigenden Umständen hat.
Im zugrundeliegenden Fall wurden nach internen Hinweisen von der Compliance-Abteilung Untersuchungen angestellt, dessen Ergebnisse erst nach einiger Zeit in Form eines Zwischenberichts an den Geschäftsführer übermittelt wurden. Auf Grundlage des Zwischenberichts erklärte dieser in seiner Funktion als kündigungsberechtigte Person die außerordentliche Kündigung des betroffenen Mitarbeiters. Das BAG billigte dies und erachtete die Kündigungserklärung nicht als verspätet. Es entschied, dass es für die Ausübungsfrist von zwei Wochen auf die Kenntnis der zur Kündigung berechtigten Person ankommt. Eine unzulässige Rechtsausübung ist nicht bereits in einem fahrlässigen Organisationsverschulden bei der Wissensweitergabe zu sehen.
Lediglich in Fällen in den der Arbeitgeber zielgerichtet die Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen verhindert, kann dieser sich gem. § 242 BGB nicht mehr auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB berufen.
Für die Praxis hat dieses Urteil des BAG eine enorme Bedeutung:
Es zeigt, dass ein Compliance Team zur effektiven und sachgerechten Aufklärung von kündigungsrelevanten Sachverhalten beitragen kann. Zudem verbleibt auch weiterhin ein Beurteilungsspielraum der Compliance-Beauftragten, zu entscheiden, wie schnell und umfangreich die Ermittlungen vorgenommen werden müssen, bevor diese „guten Gewissens“ an die Entscheidungsträger weitergeleitet werden. Dies stellt eine gute Qualität der Ermittlungsergebnisse sicher und schützt auch etwaig zu Unrecht beschuldigte Mitarbeiter des Unternehmens.
Aus dem Urteil lässt sich im Umkehrschluss allerdings auch herauslesen, dass ein vorsätzliches Gesamtunterlassen des Strukturaufbaus für Ermittlung und Weiterleitung an Entscheidungsträger als vorsätzliches treuwidriges Verhalten gewertet werden könnte.
Sofern Sie Fragen zu Einrichtung und Optimierung Ihrer Compliance-Strukturen oder Fragen rund um die Anforderungen an Mitarbeiterkündigungen haben, beraten wir Sie dazu gerne.
Ihre Ansprechpartner sind:
Franziska Kohl, Maximilian Decker, Christian Vedder