Das Landgericht Paderborn hat in einem am 14.3.2022 verkündeten Urteil – 3 O 579/21 – die Rechtsprechung zur Haftung von Genehmigungsbehörden weiterentwickelt. In der Entscheidung befasst sich das Gericht mit Einzelheiten des Amtshaftungsanspruchs nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG und mit den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs nach § 39 OBG NRW. Beide Anspruchsgrundlagen kommen in Betracht, wenn rechtswidrige Maßnahmen einer Ordnungsbehörde im Raum stehen. Während die Körperschaft des Amtsträgers nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nur dann haftet, wenn dem handelnden Amtsträger Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei der Verwirklichung der Amtspflichtverletzung zur Last fällt, ist es nach § 39 Abs. 1 b) OBG NRW gleichgültig, ob die Behörde ein Verschulden trifft oder nicht.
Ist eine Genehmigungsbehörde aufgrund fehlender Normverwerfungskompetenz daran gehindert, einen fehlerhaften Bauleitplan unangewendet zu lassen, haftet sie in der Regel nicht nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, weil dem handelnden Amtsträger üblicherweise kein Verschulden vorzuwerfen ist. Das fehlende Verschulden schützt die Behörde aber nicht vor einer Haftung nach § 39 OBG NRW. Hier kommt es somit auf die weiteren Anspruchsvoraussetzungen an. In diesem Zusammenhang sind viele Fragen bislang ungeklärt. Das Urteil des Landgerichts Paderborn gibt darauf nun eine Antwort.
Die Klägerin begehrte vom beklagten Kreis Schadensersatz aus Amtshaftung auf Grund einer nach ihrer Ansicht rechtswidrig verzögerten Genehmigung von insgesamt fünf Windenergieanlagen. Der Kreis hatte das Vorhaben zunächst nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB zurückgestellt. Die Klage gegen die 1. Zurückstellung wurde abgewiesen. Anschließend setzte der Beklagte die Entscheidung nach § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB um ein weiteres Jahr aus. Die gegen die 2. Zurückstellung gerichtete Klage hatte Erfolg, weil zwischenzeitlich eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12.4.2017 bekannt geworden war, in der der 8. Senat den Rechtssatz aufgestellt hatte, dass eine Zurückstellung rechtswidrig sei, wenn das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Daraufhin lehnte der Beklagte die Genehmigungsanträge unter Hinweis auf die entgegenstehenden Darstellungen im Flächennutzungsplan der Standortkommune ab. Gegen die Ablehnungsbescheide erhob die Klägerin Klage vor dem Verwaltungsgericht und hatte in erster Instanz Erfolg. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen hatte, wies der 8. Senat im Berufungsverfahren auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.10.2020 – 4 CN 2.19 – hin. In dieser Entscheidung hatte der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (erstmals) den Rechtssatz aufgestellt, dass die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB ihren Adressaten den räumlichen Geltungsbereich der Darstellungen hinreichend deutlich machen muss. Dieser Geltungsbereich sei bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der gesamte Außenbereich der Gemeinde. In seinem Hinweis teilte der 8. Senat dem Beklagten mit, dass sehr viel dafür spreche, dass auch der Flächennutzungsplan der Standortkommune formell fehlerhaft sei, weil dessen Genehmigung nicht in der erforderlichen Weise bekannt gemacht worden sei. Daraufhin nahm der Beklagte die Berufung zurück, wodurch das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwuchs.
In seinem Urteil führt das Landgericht Paderborn aus, dass dem Beklagten weder hinsichtlich der Zurückstellungsentscheidungen noch hinsichtlich der Versagungsbescheide ein Verschulden vorzuwerfen sei. Bei Erlass des zweiten Zurückstellungsbescheides habe er auf die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts betreffend den ersten Zurückstellungsbescheid vertrauen dürfen. Jedenfalls bis zum Erlass des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12.4.2017 habe der Beklagte darauf vertrauen dürfen, dass die Zurückstellung erneut erfolgen kann. Den Beklagten treffe auch kein Verschulden hinsichtlich des Erlasses der Versagungsbescheide. Dem Amtsträger des Beklagten könne kein Schuldvorwurf gemacht werden, weil kein evidenter Fehler des Flächennutzungsplans vorlag, der dem Amtsträger vor Erlass der Bescheide ohne nähere Prüfung der Wirksamkeit des Flächennutzungsplans hätte zwingend auffallen müssen. Überdies hätten dem Amtsträger keine Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden, weil er insbesondere nicht befugt war, den Flächennutzungsplan aus eigener Kompetenz heraus unangewendet zu lassen.
Der Klägerin stehe gegen den Beklagten auch kein Anspruch gemäß § 39 Abs. 1 b) OBG NRW zu. Denn die geltend gemachten Schäden seien nicht kausal auf eine rechtswidrige zweite Zurückstellung zurückzuführen. Im Falle eines hypothetischen rechtmäßigen Behördenhandelns hätte die Klägerin keinen positiven Bescheid erhalten. Die Kammer war daher nicht davon überzeugt, dass ohne die rechtswidrige Zurückstellung die Genehmigungsverfahren der Anlagen schneller zum Abschluss gelangt wären. Auch bezüglich der Versagungsbescheide stehe der Klägerin kein Anspruch nach § 39 Abs. 1 b) OBG NRW zu. Hinsichtlich dieser Bescheide liege ein Fall des normativen Unrechts vor, für das der Beklagte nicht zur Entschädigung verpflichtet ist. Die ordnungsbehördliche Maßnahme des Beklagten beruhe auf der Aufstellung eines rechtswidrigen, unwirksamen Flächennutzungsplans. Der Amtsträger des Beklagten sei mangels eigener Normverwerfungskompetenz an den Flächennutzungsplan gebunden, so dass sich das normative Unrecht in dem erlassenen Verwaltungsakt niederschlägt. Die den Ratsmitgliedern bei der Aufstellung des Flächennutzungsplans obliegende Amtspflicht oblag ihnen ausschließlich gegenüber der Allgemeinheit. Die Aufstellung des Flächennutzungsplans diene nicht dem Schutz der Klägerin. Die Versagungsbescheide seien zwar objektiv rechtwidrig, so dass zumindest ein Erfolgsunrecht anzunehmen sei. Aufgrund der bestehenden Bindungswirkung für den Amtsträger der Beklagten sei jedoch ein Handlungsunrecht nicht gegeben.
Das Urteil ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Wenn Genehmigungsbehörden auf der Grundlage von Bauleitplänen, deren Wirksamkeit zweifelhaft ist, Entscheidungen zu treffen haben, stellt sich nicht selten die Frage nach der Haftung. Im Regelfall kann die Behörde keine Normverwerfungskompetenz für sich in Anspruch nehmen. Widerspricht das Vorhaben den bauleitplanerischen Vorgaben, läuft das meistens auf einen Ablehnungsbescheid hinaus. Stellt sich dann Jahre später heraus, dass die Entscheidung der Behörde rechtswidrig war, muss die Behörde zwar mangels Verschuldens nicht damit rechnen, nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu haften. Das fehlende Verschulden bewahrt sie aber nicht vor einer Entschädigung nach § 39 OBG NRW. Hier sorgt die Entscheidung des Landgerichts Paderborn für Klarheit. Nicht jede Amtspflichtverletzung führt zu einer Amtshaftung. Genehmigungsbehörden, die sich Schadensersatz- und Entschädigungsforderungen ausgesetzt sehen, sind daher gut beraten, genau zu überprüfen, ob die geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind.
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